Kaum ein Haustier teilt sein Leben so intensiv mit dem Menschen, wie wir Hunde. Wir begleiteten ihn bei Spaziergängen, Ausflügen und im Alltag. Wenn sich mein Herrchen bei Wanderungen irgendwo hingesetzt, um das vor uns liegende „farbenfrohe“ Naturspektakel zu bewundern, sitze ich meist neben ihm und geniesse den Anblick ebenfalls auf meine Weise. Mein Herrchen überlegte sich, was wir Hunde eigentlich sehen.
Früher haben die Zweibeiner angenommen, wir Hunde seien farbenblind und erleben die Welt in schwarz-weiss. Inzwischen wissen die Menschen, dass das nicht so ist. Die meisten Menschen besitzen die Fähigkeit, alle Farben von Blau über Grün und Gelb bis Rot wahrzunehmen. Diese Fähigkeit brauchte der Zweibeiner, der überwiegend am Tage aktiv ist, um seine Nahrung zu finden. Jede Säugerspezies hat das visuelle System entwickelt, das ihrem Überleben am besten dient. Diese Anforderungen können sehr unterschiedlich sein.
Bevor wir Hunde vom Menschen domestiziert wurden, waren wir überwiegend am Morgen und in der Abenddämmerung bei der Beutejagd aktiv, und unsere Augen sind optimal diesen Tageszeiten angepasst. Die Fähigkeit, in der Dämmerung zu sehen und Bewegungen zu erkennen, war wesentlich wichtiger als Farbtüchtigkeit.
Die Netzhaut des Auges enthält Stäbchen und Zapfen. Stäbchen vermitteln nur Hell-Dunkel-Eindrücke, sind aber sehr lichtempfindlich. Zapfen hingegen dienen dem Sehen bei mittleren bis hellen Lichtverhältnissen und dem Farbensehen, wobei unterschiedliche Zapfen für die Grundfarben Rot, Grün und Blau empfänglich sind. Daraus berechnen Auge und das Gehirn dann ein reiches Spektrum von Farben (der Mensch kann damit etwa 200 Farbtöne unterscheiden).
Die Netzhaut von uns Hunden weist besonders viele Stäbchen auf, während das menschliche Auge in etwa fünfmal so viele Zapfen enthält. Die geringe Anzahl der Zapfen in der Netzhaut von uns Hunden lässt darauf schliessen, dass unser Auge eher auf Lichtempfindlichkeit als auf Farbensehen spezialisiert ist.
Jeder Zapfen enthält ein Photopigment, das eine bestimmte Bandbreite des Lichtes wahrnimmt. Diese Photopigmente machen Farbensehen möglich. Das menschliche Auge enthält drei verschiedene Zapfen: Sie sind sogenannte Trichromaten. Wir Hunde hingegen besitzten nur zwei Zapfentypen, somit sind wir, wie die meisten anderen Säugetierarten, Dichromaten.
Das Farbensehen von uns Hunden wurde von den Menschen durch verschiedene Experimente und Verhaltensstudien erforscht. Eine Studie von Neitz, Geist und Jakobs fand, dass wir Hunde Farben in etwa so sehen wie ein Mensch, der rotgrün-farbenblind ist. Der eine Zapfentyp von uns Hunden ist empfindlich für Blau-Violett, der andere für Gelb. Wir und unsere wilden Verwandten sehen also im wesentlichen den Spektralbereich von Gelb über Grün und Blau, wobei Objekte, die für den Menschen grün sind, unbunt erscheinen und rote Objekte gelb.
Die Sehschärfe des Menschen ist ungefähr sechsmal besser als die von uns Hunden. Interessant ist, dass wir unseren menschlichen Freund auf Distanz kaum erkennen können, wenn sich dieser still verhält, aber dafür nehmen wir feinste Bewegungen auf grosse Distanz noch wahr. Dies machen sich Beutetiere zunutze, indem sie reglos verharren, wenn sie Gefahr wittern.
Sehschärfe wird beeinflusst durch die optischen Eigenschaften des Auges (Grösse der Pupille, Linse und Hornhaut) und durch die Anordnung der Zapfen und Stäbchen. Die Pupillenweite wird durch die Intensität des Lichteinfalls reflektorisch gesteuert. Bei schlechten Lichtverhältnissen sind wir Hunde dem Menschen überlegen, denn unsere Pupille ist grösser als die menschliche, was die Sicht bei geringem Licht begünstigt, bei dem die Stäbchen angesprochen werden. Das Stäbchensystem erreicht jedoch keine gute Sehschärfe. An der Rückwand unseres Hundeauges befindet sich eine lichtreflektierende Schicht, Tapetum lucidum genannt. So können wir Hunde auch bei geringer Lichtintensität noch Formen und Bewegungen wahrnehmen. Das Sehvermögen von uns Hunden ist insbesondere auf Bewegungen und schlechte Lichtverhältnisse spezialisiert, was auch für unser früheres Überleben als Jäger notwendig war.
Ebenso hilfreich bei der Jagd ist das weite Gesichtsfeld von uns Hunden, das einen Winkel von 240 Grad umfasst, während der Mensch 200 Grad erreicht. Dafür ist der Bereich, der von beiden Augen gesehen wird, kleiner (das sogenannte binokulare Gesichtsfeld: Hund 60 Grad, Mensch 120 Grad). Dieser Bereich ist für die räumliche Tiefenwahrnehmung (Stereo sehen) wichtig, worin der Mensch uns Hunden überlegen ist.
Die Menschen sehen viel mehr Farbe und Detail als wir Hunde, was aber nicht bedeutet, dass wir Hunde benachteiligt sind. Wir haben, wie alle Tiere, das Sehvermögen entwickelt, das unserem Überleben am besten dient. Erfreulich ist es vielleicht für viele Hundebesitzer zu wissen, dass ihre geliebten Hausgenossen doch etwas von der Farbvielfalt mitbekommen, die sie geniessen. Abschliessend noch ein bildlicher Vergleich von dem, was wir sehen (rechts) und was der Mensch sieht (links).
Bearbeitet von Daniel Keller 2005